Das Dirndl. Es erfreut sich grosser Beliebtheit, auch bei uns. Immer öfter begegnen wir der bodenständigen weiblichen Tracht auf Schweizer Strassen. Dann wissen wir: Die Volksfeste sind da. Dabei stehen die Männer ihren farbenfrohen charmanten «Madln» keineswegs nach. Auch sie schliessen ihre Westen über weissen oder karierten Hemden und kombinieren sie mit Lederhosen. Um mehr über jenen Modetrend zu erfahren, welcher das Bild des Lozärner Oktoberfestes seit Jahren prägt, besuche ich Ursula Nichele. Im eigenen Geschäft, dem Zaunkönig, verkauft sie alles, was es für einen gemütlichen Abend braucht: Dirndl, Schürzen, Blusen, Hemden und Accessoires. Nichele kommt ursprünglich aus der Papeterie- und Souvenierbranche. 2013 entschloss sie sich, neu zu beginnen: «Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für diese Mode. Sie ist lieblich, kreativ und zeitlos. Für mich bedeutet sie Heimat. Schliesslich ist auch die Schweiz ein Alpenland.» Ihre ehrliche und kompetente Art, auf Menschen zuzugehen, brachten dem Zaunkönig treue Kundschaft. Heute führt Nichele ganze Familien in die Welt der Trachten, der Landhausmode und des Alpenchic ein.


Weniger ist mehr
Im Zaunkönig herrscht eine heimelige Atmosphäre. Schöne Dinge umgeben mich: Sorgfältig arrangierte Schals, flauschige Jacken, Hüte mit bunten Federn und Gehröcke aus Leinen und Wolle. Ursula deckt ihre Kundschaft für jede Lebenssituation ein, nicht bloss für Feste. Wobei in Österreich auch die Dirndl seit jeher zum Alltag gehören. Diese Entwicklung geht auf die höfische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zurück. Vom akribisch regulierten Leben in der Stadt erholte man sich gerne auf dem Land. So gelangte eine romantisch nachempfundene Interpretation der bäuerlichen Tracht an die Höfe. Nach dem Ersten Weltkrieg, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, erfreute sich das schlichte Sommerkleid immer grösserer Beliebtheit. Bis heute.

Ursula führt mich in den hinteren Teil des Zaunkönigs, wo die Trachten aus festem Baumwollstoff hängen: «Robustere Dirndl wie diese trug die Magd auf dem Bauernhof», erklärt sie mir: «Das Grundkleid bleibt dasselbe, am Sonntag wechselten lediglich die Schürze und die Bluse. Jene sind vor allem in der Hotellerie in den Bergen sehr beliebt.» Wir gehen weiter, zur schillernden Ecke: «Hier habe ich mehr «Bling-Bling», flippige Interpretationen fürs Oktoberfest.» Erstaunt halte ich inne: Diese Mode, welche ich persönlich immer in der Traditionsecke verstaut hatte, ist Zeitgeist: 1-2 Grundkleider kombiniert mit Schürzen, Blusen und Accessoires. Schon ist «Frau» angezogen. Es braucht nicht viel. Weniger ist mehr.

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Weiter geht es mit den Herren: «Für mich müssen es nicht immer Lederhosen sein,» so Nichele: «Ein klassisches Hemd mit Karoeinsatz und eine Weste mit den typischen Hirschhornknöpfen lassen sich mit Jeans für jeden Anlass kombinieren.» Die Kleider haben ihren Preis, dafür fallen sie nicht aus der Mode. Qualitativ hochwertig können sie stetig neu kombiniert werden. Sie sind zeitlos.
Ein Besuch im Zaunkönig geht weit über den Einkauf hinaus. Ich erfahre eine Lebensart, welche an Festen und jenseits davon zelebriert wird. Mittlerweile steckt auch das Internet voller Alpenchic. Für den Zaunkönig ist das Alltag: «Der Onlinehandel ist die grösste Bedrohung für uns Detaillisten», stellt Ursula fest: «Zum einen lebt die Stadt mit den kleinen individuellen Geschäften. Ohne uns wäre sie tot. Daran muss man denken. Zum anderen ist Shopping ein Erlebnis, eine Interaktion zwischen den Menschen. Stundenlang alleine vor dem Computer zu sitzen, um die Hälfte der Bestellung wieder zurückzuschicken, ist eine gefährliche einsame Entwicklung.» Das stimmt. Die zierliche lebensfrohe Frau, welche mich mit Hingabe in ihre Welt eingeführt hat, weckt sogar meine Lust, mich in einem farbenfrohen Dirndl vor dem Spiegel um die eigene Achse zu drehen. Obwohl ich nie ein Oktoberfest besucht habe. Was nicht ist, kann ja noch werden.